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Der überwiegende Teil der seit Herbst 1938 vom Standesamt bearbeiteten Anträge kam aus dem Reichsgebiet, mit den Schwerpunkten Bielefeld (167) und den Großstädten Berlin (71), Köln (21), Hannover (9), Hamburg (8), Dortmund (7) und München (5) und im benachbarten Herford (7). Insgesamt trafen Anmeldungen aus knapp 80 deutschen Städten und Orten ein. Weitere Anträge wurden aus dem Ausland eingesandt: aus Belgien und den Niederlanden, Frankreich, Großbritannien, Schweden, Italien, der Schweiz, den USA und auch aus Shanghai. Das Standesamt nahm die Mitteilungen der Anmeldepflichtigen an oder schickte sie bei Geburtsdaten vor dem 1. Oktober 1874 an das Amtsgericht, holte bei Bedarf einzelne Meldedaten bei der Polizeiverwaltung ein, fertigte – gebührenfreie – Beischreibungen im Geburts- oder Heiratsregister an und verschickte auf Antrag gebührenpflichtige Abschriften aus den Registern. Das Standesamt war reagierend tätig, die Beischreibungen erfolgten also nicht von Amts wegen. Für eine Beischreibung aus Eigeninitiative wäre eine vollständige Kartei der in Bielefeld lebenden, geborenen oder verheirateten Jüdinnen und Juden nach den Kriterien der „Nürnberger Gesetze” notwendig gewesen.
Eine solche „Judenkartei” war in dieser Phase noch nicht verfügbar, lag seit den „Nürnberger Gesetzen” von September 1935 aber gewissermaßen in der Luft und war bereits seit 1936 ernsthaft geplant, nachdem das Reichsinnenministerium die „Bereinigung” der Wählerlisten um Personen angemahnt hatte, „die aus rassischen Gründen nicht wahlberechtigt” waren. Grundlage für die Ermittlung dieses Personenkreises sollten polizeiliche Anmeldungen und andere Register u. a. der Standesämter und Personenstandsaufnahmen sowie Listen der Synagogengemeinden sein. Auf Anweisung von Oberbürgermeister Friedrich Budde (1895-1956) diskutierten unter dem Vorsitz von Verwaltungsdirektor Karl Röhrich (1884-1964)” am 24. Juni 1936 Standesamtsleiter Cramer und die Leiter des Steueramts und der Verwaltungspolizei, zu der auch das Einwohnermeldeamt zählte, über die Erfassung der jüdischen Bielefelder. Ausgangspunkt war die Streichung derjenigen Personen aus der Wahlkartei, die nicht Staatsangehörige „deutschen oder artverwandten Blutes” waren, was aber die Bielefelder Einwohnermeldekartei nicht leisten konnte, da der Vermerk „jüdisch” auf den Meldekarten die Religionszugehörigkeit bezeichnete, aber kein rassenideologisches Merkmal, sodass konvertierte oder religionslose Juden nicht zu ermitteln waren. Auf Behördenanfrage meldeten die NSDAP-Ortsgruppen Juden aus ihren Bezirken, dennoch war keine lückenlose Erfassung gelungen. Die Gesprächsrunde besprach Möglichkeiten, um Nichtarier „restlos zu erfassen”. Schließlich trug Cramer den Wunsch vor, „allmählich zu einer Judenkartei zu kommen, die beim Standesamt geführt werden könnte. […] Eine solche Judenkartei würde dem Standesamt gute Dienste leisten.” Zur gewünschten „Judenkartei” ist es nicht gekommen, wie die insgesamt acht Wiedervorlage-Verfügungen Cramers bis zum 1. April 1940 andeuten – die Kartei blieb auf dem bürokratischen Wunschzettel.