Zehn Jahre „Lesen gegen das Vergessen“

| Bielefeld (bi)

Die Initiative „Lesen gegen das Vergessen“ erinnert bereits zum zehnten Mal an Autorinnen, deren Werke im Frühjahr 1933 für lange Zeit in den Flammen verschwanden, die in der Nazizeit ausgegrenzt, vertrieben und ermordet wurden sowie an Autorinnen, die in ihren Herkunftsländern verfolgt oder aus ihrer Heimat vertrieben wurden. In diesem Jahr wird es zwei Veranstaltungen der Initiative geben: In der Stadtbibliothek sind am Mittwoch, 24. April, um 19 Uhr „Texte_Über_Leben“ zu hören, die auf oft vergessene Autorinnen aufmerksam machen. Die Lesung „gegen das Vergessen“ findet am Dienstag, 7. Mai, um 17 Uhr vor dem Bielefelder Rathaus statt.

Der Eintritt ist frei. Die Lesung in der Stadtbibliothek wird zudem im Livestream übertragen. Der Link zum Livestream findet sich im Veranstaltungskalender auf der Webseite der Stadtbibliothek, www.stadtbibliothek-bielefeld.de.

Programm und ausgewählte Autorinnen

In diesem Jahr folgen die ausgewählten Texte einer zeitlichen Abfolge: Der Aufstieg des Nationalsozialismus, die Erfahrungen von Krieg, Lager, Vertreibung, Exil und Widerstand und schließlich der Rückblick von Überlebenden. Ein Schwerpunkt sind dabei die Erfahrungen von Kindern und Jugendlichen im Schatten des Nationalsozialismus.

In der Stadtbibliothek lesen neben Mitgliedern des Künstlerinnenforums bi-owl e.V. und engagierten Bielefelderinnen auch Schülerinnen und Schüler der Laborschule Texte und Gedichte von Ruth Klüger, Judith Kerr, Gertrud Kolmar, Lessi Sachs, Mascha Kaléko, Paula Schlier, Anne Frank und Ilse Weber. Die aus der Ukraine stammende und in Paderborn lebende Autorin Rosa Marusenko trägt eigene Gedichte zum Krieg in der Ukraine vor. Für die stimmige Musik sorgen die ukrainische Geigerin Naira Arzumanian sowie Ramona Kozma mit Gesang und Akkordeon.  

Vor dem Rathaus lesen am Dienstag, 7. Mai, die Initiative „Lesen gegen das Vergessen“ und Schülerinnen der Luisenschule und der Hans-Ehrenberg-Schule Texte und Gedichte von Lisette Lombé, Ilse Weber, Ricarda Huch, Lessi Sachs, den Geschwistern Scholl, Hedda Zinner, Mascha Kaléko, Rosa Marusenko und Ruth Klüger. Ramona Kozma begleitet auch diese Lesung auf ihrem Akkordeon.

Historischer Hintergrund: Bücherverbrennung in Bielefeld und Deutschland

Am 10. Mai 1933 organisierte in Berlin und anderen Orten der „Verband Deutsche Studentenschaft“ die Bücherverbrennungen, die Fotos davon haben sich ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. In Bielefeld fand eine erste Bücherverbrennung schon fast zwei Monate früher am 13. März statt. Sie war hier Bestandteil der radikalen Verfolgung aller Nazi-Gegner und ihrer Organisationen unmittelbar nach den letzten freien Wahlen vom 5. März 1933. Die geschmähten Autorinnen und Autoren verloren ihre Existenzgrundlagen und ihre sozialen Beziehungen, wurden ins Exil vertrieben, deportiert oder umgebracht. Innerhalb von drei Wochen wurden im Mai vor 90 Jahren etwa 10.000 Zentner gedruckte Literatur beschlagnahmt und mehr als 3.000 verschiedene Bücher öffentlich vernichtet. 

Die Aktion „Lesen gegen das Vergessen“, die vor zehn Jahren Mitglieder des Künstlerinnenforums bi-owl und zivilgesellschaftliche Gruppen ins Leben riefen, erinnert an die doppelte Diskriminierung der mehr als 200 von den Nazis verfolgten oder ermordeten Dichterinnen, Autorinnen und Publizistinnen, die es schwer hatten, sich in einer männlich dominierten Kulturszene durchzusetzen und die heute mehr Aufmerksamkeit verdienen.